Vor
uns erscheint das Hirschberger „Allianzwappen“, wie es seit 1977 in
Gebrauch ist. Es ist Symbol für die Vereinigung von Großsachsen und
Leutershausen zur Gemeinde Hirschberg am 1. Januar 1975. Zwei zuvor in
langen Jahrhunderten selbständige Gemeinwesen wurden unter nicht
unerheblichen Bedenken auf beiden Seiten zu einer Gemeinde zusammengefügt.
Der Graben, den es dabei zuzuschütten galt, scheint beispielsweise in
folgendem Mundartgedicht von Lina Berg auf:
„Laafscht vun Woinem nuff nach Litzelsaase,
Do haaßts: Hinkle, Ente, Gäns und Hase,
In Groußsaase, ‚do isch’s grouß’ un schee’,
Un in Hause ‚kannscht’ ins ‚Lamm un danze’ geh“.
Das Gedicht
verweist darauf, dass zwischen Großsachsen und Leutershausen eine
ausgeprägte Mundartgrenze verläuft. So weist die Großsachsener Mundart
mehr Gemeinsamkeiten mit Weinheim auf als mit dem benachbarten
Leutershausen.
Derartige Mundartgrenzen wiederum verweisen vielfach auf unterschiedliche
territoriale und kirchliche Zugehörigkeiten der betreffenden Gemeinden.
Tatsächlich könnten die komplizierten kirchlichen Verhältnisse und das
besondere Herrschaftsgefüge zu dieser Verwerfung beigetragen haben.
Und doch gilt: Großsachsen und Leutershausen sind aus einer Wurzel
entstanden. Teilweise gingen dann die beiden Gemeinwesen getrennte Wege
und nahmen unterschiedliche Entwicklungen. Gleichwohl gab es vielfältige
Bindungen und schließlich die Wiedervereinigung, wenn wir so wollen.
Diese Aspekte sollen unseren
heutigen Vortrag leiten
1904
fand man im Gewann Kissel halbwegs zwischen Großsachsen und Leutershausen
die sterblichen Überreste einer jungen Keltin. Ob wir sie zur Urmutter der Hirschberger erheben dürfen? Mit Sicherheit nicht. Aus welchen
Provinzen
des römischen Reiches die Bewohner der Villa rustica stammen, wissen wir
nicht.
Und ob die Alamannen,
die vorübergehend nach dem Zusammenbruch der
römischen Herrschaft in den Ruinen der Villa rustica siedelten, ihre
genetischen Fingerabdrücke im
späteren Hirschberg hinterlassen haben, ist
ebenfalls ungewiss.
Alamannischer
Krieger
Anders sieht das schon mit der merowingerzeitlichen Bevölkerung etwa ab
der Zeit nach 500 aus. Der Siedlungsplatz „Sachsenheim“ ist seit dieser
Zeit kontinuierlich besiedelt; die drei Sachsenorte und das spätere
Leutershausen haben in diesem Sachsenheim ihre gemeinsame Wurzel.
Ob
die Neuankömmlinge in der Zeit der Merowinger Franken waren oder ob sie
nicht doch dem Stamm der Sachsen zuzurechnen sind, lässt sich nicht mit
endgültiger Sicherheit festlegen. Immerhin spricht eine breit angelegte neuere Forschung dafür,
dass der Saxo, dessen Erinnerung im Namen der
Sachsenorte fortlebt,
ein sächsischer Adliger war. 877 wird dann der Siedlungsplatz „Husa“,
Hausen, erwähnt.
Es
befindet sich hier ein Herrenhof (curtis) samt einer Kirche (basilica);
diese sind zu dieser Zeit im Besitz des Grafen
Luither. Er selbst oder seine Vorfahren haben
von ihrem Sitz in „altera Sassenheim“, dem anderen Sachsenheim, die
Ausbausiedlung Hausen errichtet. Auch Luither wird einer sächsischen
Familie zugeordnet. Sein Name diente
schließlich dazu, unser Hausen von vielen anderen Orten gleichen Namens
abzuheben.
Lorscher
Codex mit der Ersterwähnung von Sachsenheim
779
Die
genannte Kirche wird als Vorgänger der heutigen evangelischen Kirche zu
Leutershausen angesehen. Sie gehörte zwar zunächst in den größeren Verbund
der Pfarrei der Sachsendörfer, d. h. zur Kirche Hohensachsen, bevor die
eigene Pfarrei Leutershausen errichtet wurde. Ich möchte aber die
Feststellung wagen, dass die frühe Existenz eines eigenen Kirchengebäudes
das Ausscheiden Leutershausens aus dem Verbund der Sachsendörfer befördert
hat. Dazu passt auch, dass das Kloster Lorsch, als Besitznachfolger des
Grafen Luither Leutershausen zur Villikation erhob, zum zentralen
Verwaltungs- und Gerichtsort seines Herrschaftsbereichs zwischen Weinheim
und Schriesheim. Der Klostermeier oder „villicus“ verwaltete den Lorscher
Klosterbesitz und die daraus fließenden Einkünfte. Er beaufsichtigte die
vom Kloster abhängigen Leute und sorgte für die Durchführung der drei
jährlichen Hauptgerichtstage. Den Platz des Lorscher Klosterhofes dürfen
wir wohl beim „alten“ Rathaus suchen, in der Nähe der Kirche und des
Pfarrhauses und der Leben spendenden Quelle des Lindenbrunnens. Hier
stellte am 2. Dezember 986 der Lorscher Abt Gerbodo eine Urkunde aus.
Auch
für die spätere Entwicklung Leutershausens zum „Adelsdorf“ trafen die
Lorscher Äbte die entscheidenden Weichenstellungen. Zur Ausübung der hohen
Gerichtsbarkeit und zum Schutz ihrer Rechte bedienten sich kirchliche
Institutionen so genannter Vögte. Das waren mehr oder minder mächtige
weltliche Herren. Diese wurden für ihre Dienste durch die Beleihung mit
kircheneigenem Land samt den darauf sitzenden Leuten entschädigt.
Auf
diesem Wege kam die Herrschaft über Leutershausen im 12. Jahrhundert an
eine mächtige Familie, die in der Burg Lindenfels ihren
Herrschaftsmittelpunkt besaß. Auf sie geht möglicherweise bereits die
heute namenlose Burg auf dem Schanzenköpfle über Leutershausen zurück.
1142 erscheint dann ein „Cunradus de Hirzberg“. Er wird als „nobilis“
bezeichnet; stammte damit aus einer edelfreien Familie, deren genaue
Herkunft im Dunkeln liegt. Er war Inhaber von Vogtsrechten und mit
Lorscher Lehensgütern in Leutershausen und Sachsenheim begabt.
Sein
Sitz war die Burg auf dem Schanzenköpfle, die heute allgemein als die
Ur-Hirschburg angesehen wird. Die Edelfreien von Hirschberg starben im
ersten Viertel des 13. Jahrhunderts aus. Sie hatten allerdings
noch ihren Sitz von der Burg auf dem Schanzenköpfle bergabwärts an die
Stelle der jetzigen Hirschburg
verlegt.
Um die Sache etwas zu verkomplizieren: noch zu Zeiten der Edelfreien von
Hirschberg saßen
Dienstleute
des Klosters Lorsch auf der Hirschburg, vermutlich als Lehnsmänner der
Hirschberger, und um die Verwirrung noch zu vergrößern, nannten auch
sie sich „von Hirschberg“, allerdings nicht „nobiles“
sondern, ihrem minderen, unfreien Stand gemäß
„milites“, was als Ritter übersetzt wird.
Siegel des Merkel von Hirschberg 1283
Ruine der Hirschburg
Sie wandten
sich in einem komplizierten Vorgang vom Kloster Lorsch ab und der neuen
Macht am unteren Neckar zu: den Pfalzgrafen bei Rhein (1156 Konrad von
Staufen), die damit an der Bergstraße Fuß fassten. Mit dem Aussterben der
Edelfreien von Hirschberg wurden sie zu den tatsächlichen Herren über
Leutershausen.
Als ihre Lehnsleute fungierten die milites von Hirschberg. Neuere Forschungen
machen es wahrscheinlich, dass einer von diesen kein anderer als der in
der deutschen Geschichte wohlbekannte Markward von Annweiler war. Er trug
den Leitnamen der Hirschberger Ritter: Markward und wurde zusammen mit
seinem Sohn Dietrich von Kaiser Heinrich VI. und dem deutschen König
Philipp von Schwaben mit Leutershausen
und
Sachsenheim belehnt. Er war bis zu seinem Tod 1202 unter anderem für den
Stauferkaiser Friedrich Barbarossa als Diplomat, Krieger und Heerführer in
Italien, Sizilien und Kleinasien tätig: wenn er tatsächlich dem Geschlecht
der Hirschberger zuzuordnen ist, so dürfen wir annehmen, dass in seinem
Tross der eine oder andere Knecht aus Leutershausen oder Großsachsen seine
Abenteuer geteilt hat.
Rechts: Markward von Annweiler
Die Herrschaft
der Ritter von Hirschberg hat das Leutershausener Ortsbild geprägt:
Da ist das
„Herrschaftszentrum“ um den Oberen Hof, auch
Wasserhof genannt – hier steht heute die Katholische Kirche -
daran anschließend der Untere Hof –
auf
seinen Platz steht das Schloss der Grafen
Wiser – gegenüber der Frankensteiner Hof – heute katholisches Pfarrhaus.
Den Ort umgab ein Bannzaun, dessen
Instandhaltung die Junker von ihren Leutershausener Untertanen immer
wieder einforderten. Dem Bannzaun vorgelagert
war ein Graben.
Das
Kloster Schönau und seine Klosterhöfe
 Als
besonderes Kennzeichen können die drei Tore mit ihren Torhäusern gelten: das
Schriesheimer, das Ladenburger und das Großsachsener Tor, von dem
sich ein bescheidener Überrest erhalten hat.
Leutershausener
Ortsplan von 1774
Großsachsener Tor
Immerhin
kann uns noch das alte Rathaus mit seiner Durchfahrt einen Eindruck davon vermitteln, wie sich die Ortseingänge bis in
den Beginn des 19. Jahrhunderts darboten.
Besonderer Beliebtheit bei ihren Untertanen erfreuten sich die Junker
verständlicher Weise nicht. 1543 beschwerte sich Adam von Hirschberg
darüber, dass die „Weiber“ zu Leutershausen seine Weinbeseher „mit bösen
unzüchtigen Worten“ schmähten.
Die
Großsachsener wiederum, von denen die Junker Hirschberg verschiedene
Naturalzinsen zu fordern hatten, taten
einiges, um die Junker dabei zu hintergehen oder unmittelbar zu schädigen.
Das Wappen des Arnolt von Hirschberg
im Lehensbuch des Kurfürsten Friedrich I. von 1471
Spätestens im
15.Jahrhundert erwarben die Junker Hirschberg
einen Stadthof in Ladenburg (Bettendorfer Hof
/ Jesuitenhof) und verlegten damit ihre
„Residenz“ in das Umfeld des in Ladenburg residierenden Bischofs von
Worms. Hier konnten sie auch standesgemäßen Umgang mit anderen
Adelsfamilien pflegen. Nach Leutershausen
kamen sie wohl nur noch gelegentlich zur Jagd oder um im Dorf nach dem
Rechten zu sehen. Auch begruben sie ihre Toten fortan nicht mehr allein in
der Kirche zu Leutershausen, sondern in der Ladenburger Galluskirche.
Abgegangene Grabplatte
des Heinrich Adam von Hirschberg (gest. 1587) in der Galluskirche zu
Ladenburg
(aus der
Inschrift: Leben wir so leben wir dem Herrn, sterben wir so sterben wir
dem Herrn ist des Junkers Seeligen jeder Trostspruch gewesen)
Großsachsen
ging
derweil andere Wege. Für das Jahr 1288 ist die direkte Herrschaft der Pfalzgrafen über Großsachsen bezeugt. In
diesem Jahr übertrug Pfalzgraf Ludwig II. seiner Gemahlin
Mechthild von Habsburg Großsachsen und eine Anzahl weiterer Orte zur
Morgengabe.
Ausschnitt der Urkunde von 1288
Zwar
gaben die Pfalzgrafen in der Folge einige Zehntrechte auf der
Großsachsener Gemarkung als Lehen aus, behielten aber die Ortsherrschaft
selbst in eigenen Händen. Ein Grund dafür könnte in der Straßenlage
Großsachsens gesehen werden. Wie in einem Trichter liefen hier wichtige
überregionale Straßen zusammen.
Straßen am unteren Neckar
Damit war der Ort auch wie
geschaffen zur Anlegung einer pfalzgräflichen Zollstation. Tatsächlich
lieferte der Großsachsener Landzoll beachtliche Summen in die Kasse der
Landesherrschaft. Während die Landstraße Leutershausen links oder auch
rechts, je nachdem, liegen ließ, führte sie durch Großsachsen hindurch,
brachte den Wirten und Schmieden Verdienstmöglichkeiten und versorgte die
Großsachsener „Brückehocker“ mit Nachrichten aus der weiten Welt.
Da
der Pfalzgraf seine unmittelbare Herrschaft über Großsachsen nicht aus der
Hand gab, war für
eine Zwischengewalt wie in Leutershausen oder auch in Lützelsachsen (Landschad,
später Hundheim) hier kein Raum.
Wappen des Kurfürsten
Friedrich II. von der Pfalz 1548
Hatten
die Leutershausener (mit Unterbrechungen im 17. Jahrhundert) stets
zwei Herren zu dienen: den Junkern Hirschberg, später den Grafen Wiser als
Ortsherren und dem Pfalzgrafen bzw. Kurfürsten von der Pfalz als
Landesherren, so hatten Großsachsener nur einen Herren, genossen damit in
gewisser Weise mehr Freiheit als ihre Leutershausener Nachbarn. Außerdem
waren dieser Herr oder seine Amtleute selbst nicht vor Ort und konnten
somit nicht, wie in Leutershausen, den Untertanen ständig über die
Schulter schauen!
Wappen der Grafen Wiser
Diese Tatsache führte dazu, dass die Großsachsener, Gemeinde wie auch
Schultheiß und Gericht sich immer wieder Eigenmächtigkeiten herausnahmen,
die nicht im Sinne der Herrschaft waren. Ab und zu bewirkte dies freilich
ein Donnerwetter: so 1776, als das Heidelberger Oberamt an Schultheiß und
Gericht die Weisung ergehen ließ, sich künftig eigensinniger
Unternehmungen gegen wohlgemeinte Verordnungen der Herrschaft zu
enthalten, dies auch unter dem Aspekt, dass sie zur Beurteilung solcher
Verordnungen nicht fähig seien!
Noch
in einem weiteren Punkt äußerte sich das größere Maß an Freiheit der
Großsachsener, nämlich in der heiklen Frage des Frondienstes. Frondienst
bedeutete den Zugriff der Herrschaft auf Arbeitskraft und Zeitbudget des
Untertanen. Als Untertanen des Pfalzgrafen waren die Leutershausener und
Großsachsener diesem zur Leistung von Frondiensten verpflichtet; hier
standen sich die beiden Dörfer gleich: gemeinsam hatten sie dem Köhler,
der die Holzkohle für die Herrschaft herstellte, das Holz auf den
Kohlplatz zu schaffen. Gemeinsam transportierten sie das Jagdzeug, wenn
die Herrschaft zwischen Leutershausen und Weinheim jagte; gemeinsam
transportierten sie das erlegte Wild nach Heidelberg zum Hof. Gemeinsam
führten sie das Heu von der Herrenwiese in Weinheim in die Heidelberger
Heuscheuer. Gemeinsam waren sie für den Gefangenentransport von Weinheim
nach Heidelberg zuständig. Schreiben der Herrschaft hatten sie in den
jeweils benachbarten Ort weiterzureichen. Daneben forderte die Kurpfälzer
Landesherrschaft weitere Frondienste nach Bedarf an, so im 18. Jahrhundert
zur Anlegung der chaussierten Landstraßen oder auch zum Ausheben des
Schlossparkteiches in Schwetzingen.
Den
Leutershausenern wurden aber noch weitere Dienste durch ihren Ortsherrn
abverlangt, die den Untertanen viel Zeit und Mühen kosteten. Hier eine
unvollständige Aufzählung: Beförderung von Briefen und Befehlen der
Herrschaft, Botengänge nach Mannheim, Lerchenjagdfron, Transport der
herrschaftlichen Weine und Früchte (Getreide), Mähen, Dörren und
Transportieren von Heu und Ohmet, Beischleppen von Wasser in die
herrschaftlichen Gärten, Eisbrechen und Einlagern des Eises in den
Eiskeller, Holzmachen, Säubern der Gräben, Ein- und Austragung der
Orangerie usw.
Schließlich wehrten sich die Untertanen gegen das Übermaß durch Akte der
Verweigerung und Klagen vor der Regierung und dem Kurfürsten selbst. Dies
rief wiederum ungnädige Reaktionen der Ortsherren
hervor, die sich über der „Baueren Stoltz und deren ohnbändigen Wollmuth“
beklagten und von der Regierung eine „eclatante
S atisfaction“
gegenüber den „ehrvergessenen“ Bauern forderten. Gegen einzelne Dienstverweigerer verhängten die Ortsherren Strafen,
was 1781 dazu führte, dass ein vom Amtmann losgeschicktes
Pfändungskommando unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, da sich der
eine Verweigerer, Adam Gutfleisch, mit der Mistgabel zur Wehr setzte, der
andere, Philipp Bitzel, gar zum Beil griff.
Flurkarte von Leutershausen 1777
Die
Großsachsener konnten diesen Vorgängen, die sich von etwa 1750 bis 1790
hinzogen, entspannt zusehen. Sie selbst waren von diesen Problemen nicht
betroffen.
Benachteiligt waren die Leutershausener noch in einer anderen, aber ganz
wesentlichen Frage, der Frage nach dem Besitz bzw. dem Zugang zu Grund und
Boden. In Großsachsen gehörte das
Obereigentum
an Grund und Boden im wesentlichem dem Pfalzgrafen. Dies aber bedeutete,
dass sich in Großsachsen im Verlauf des
Mittelalters ein freies Bauerntum entwickeln konnte. Die Großsachsener
verfügten frei über den von ihnen bebauten Boden; der Pfalzgraf zog
lediglich eine Art Anerkennungsgebühr seiner Oberhoheit über den Boden
ein, die so genannte Acker- und Weinbede.
Grundbesitz in Leutershausen 1777
In
Leutershausen lagen die Verhältnisse grundlegend anders. Hier waren Grund
und Boden in den Händen so genannter Gefreiter. Zu ihnen gehörte vor allem
die Inhaber des Hirschberger Lehens, die Junker Hirschberg und ihre
späteren Nachfolger, wie die Grafen Wiser. Zusammen mit ihren Eigengütern
verfügten sie über den Großteil der Leutershausener Gemarkung. Weitere
„Gefreite“ waren das Heidelberger Augustinerkloster, dessen
„Augustinergut“ nach der Reformation von der Kurpfälzer Landesherrschaft
an sich gezogen wurde; das Kloster Schönau, in seiner Nachfolge die
Kurpfälzer Geistliche Administration. Es waren dies Güter, die zum
Marbacher Hof gehörten. Dem Mainzer Domstift - Kollektur Heppenheim –
gehörten weitere Güter. Das so genannte Jesuitengut stand vor der
Reformation dem Kloster Neuburg zu. Schließlich ist der Deutsche Orden mit
seinem Haus Weinheim als „gefreiter“ Grundbesitzer zu nennen. Weiterer
adliger Streubesitz sei übergangen. Der bäuerliche Eigenbesitz war äußerst
gering, die Felder zudem in schmalste Parzellen zerschnitten.
Wer
also in Leutershausen als Landwirt sein Leben fristen wollte, war darauf
angewiesen, Äcker, Wiesen und Weinberge aus dem Eigentum der „Gefreiten“
als Erbpächter, Temporalpächter oder Teilpächter zu bebauen. Was dies
bedeutete, drückten die Betroffenen um 1780 so aus: Pachtbesitz könne
nicht unter die Rubrik „Vermögensstand“ fallen; der Pächter besitze
letztlich nur „fremdes Gut“ und zackere um das tägliche Brot. Nach
entrichteter Pacht bleibe ihm nur der dritte oder gar vierte Teil des
Ertrages übrig. An ein wirkliches Vorwärtskommen war unter diesen
Umständen nicht zu denken. Viele der kleinen Pächter konnten sich Pferde
oder Ochsen als Zugvieh nicht leisten. Sie mussten deshalb Zugvieh zum „Zackern“
gegen „Zackerlohn“ anmieten, was ihren Ertrag weiter schmälerte. Hinzu
kam, dass die Besitzer von Zugvieh dieses erst herliehen, wenn die eigenen
Felder bestellt waren, womit die Kleinpächter ggf. in zeitliche Bedrängnis
gerieten.
Daneben mussten die Leutershausener Pachtwilligen auch noch die Konkurrenz
von Auswärtigen erdulden, so lassen sich insbesondere für Grundstücke auf
dem Rott Pächter aus Großsachsen und Heddesheim nachweisen.
Gegen diese Ungunst entwickelten die Leutershausener eine eigene
Strategie: wenn es irgend ging, erwarben sie in den benachbarten
Gemarkungen freies Bauernland und so waren die Leutershausener als so
genannte Ausmärker in Großsachsen und Schriesheim stark vertreten.
Dies lässt sich
schon für 1439 anhand des „Registrum exaccionis“ eindrucksvoll belegen; an
der Gesamtsumme der Großsachsener Steuerschuld gegenüber dem Pfalzgrafen
von etwa 510 Gulden hatten die Leutershausener Ausmärker immerhin 120
Gulden zu tragen. 1728 waren 63 Leutershausener Einwohner auf
Großsachsener Gemarkung mit Liegenschaften begütert, während zum Vergleich
nur 20 Eigentümer aus dem freilich auch bevölkerungsärmeren Hohensachsen
stammten. 1801 war die Zahl der Leutershausener Ausmärker in Großsachsen
im Zuge der Bevölkerungsvermehrung auf 111 gestiegen. Auch auf
Schriesheimer Gemarkung waren die Leutershausener unverhältnismäßig stark
vertreten.
Hier findet
sich für 1767 die Zahl von 69 Leutershausener Ausmärkern. Aus Dossenheim,
das über etwa ebenso viele Einwohner wie Leutershausen verfügte, stammten
nur 31 Ausmärker. Wie dieses Ausgreifen der Leutershausener auf die
umliegenden Gemarkungen im Einzelnen geschah, bleibt noch zu untersuchen.
Ich vermute, dass hier nicht zuletzt mittels Heiratspolitik gearbeitet
wurde. Zu vermuten ist auch, dass dieser Expansionsdrang den
Leutershausenern wenig Freunde in der Nachbarschaft machte.
Von
dem hier geschilderten Problem blieben die Großsachsener weitgehend
verschont: der einzige nennenswerte „gefreite“ Grundbesitz bestand in Form
des Marbacher Hofes und der zu ihm gehörenden
etwa 80 Morgen Acker-, Wiesen und Wingertgelände. Ursprünglich durch das
Kloster
Schönau
selbst bebaut, gab die Geistliche
Administration als Nachfolger des Klosters das
Gelände
schließlich in Erbpacht aus. Dies führte wiederum dazu, dass im Gefolge
der so genannten Bauern-befreiung zu Anfang des 19. Jahrhunderts auch hier
freier Besitz entstand.
Plan des Marbacher Hofbesitzes
Grenzstein des Marbacher Hofbesitzes
Ein
weiterer sehr wesentlicher Unterschied bestand zwischen unseren beiden
Orten in der Frage des Zugangs zum
Lebenselixier Wasser. An Wiesen, so heißt es 1788 aus Leutershausen, gebe
es
mehr
nicht als 28 ½ Morgen in schlechter Lage, „weil dahier keine Bach
vorfindlich“. Angesichts des notorischen Wassermangels auf Leutershausener
Gemarkung musste es auf die Leutershausener fast wie eine Provokation
wirken, wenn sie in Großsachsen „die“ Bach auf der Landstraße überquerten
und dabei den unmittelbar am Bachufer stehenden Laufbrunnen passierten.
Ortsbrunnen von
Großsachsen von ca. 1610
Die
Großsachsener hatten, so teilte es dieses
Ensemble mit, selten zu wenig, manchmal allerdings eher zu viel Wasser. Von dem Wasserreichtum sprachen
auch die neun Mühlen, deren Räder vom Apfelbach getrieben wurden, und auch
die Standortwahl für die Presshefefabrik („Alte Tabakfabrik“) war nicht
zufällig.
Schrödersmühle
Die
Wasserknappheit in Leutershausen, führte schon 1518/19 zu einem Streit
zwischen dem Ortsherrn, dem Junker Friedrich von Hirschberg, und der
Gemeinde. Die von Hirschberg, so die Klage des Junkers, hätten von jeher
einen „Bronnenfluß“ in ihrem Hof zu Leutershausen gehabt, der ihnen aber
1518 durch die Gemeinde „abgewendt“ worden sei. Der 1519 geschlossene
Vergleich sah vor, dass der Junker das Recht haben sollte, von dem „bronnen
ein zimlich klein rörlein“ in seinen Hof führen zu lassen, „doch das dem
gemeinen wasser auf der gemeinen almend [...] nit zu viel entzogen werde“.
Auffällig ist, dass die drei Adelshöfe in Leutershausen, der Obere oder
Wasserhof [!], der Untere Hof und der Frankensteiner Hof, in dem Teil des
Dorfes dicht bei einander liegen, der mit zwei Brunnen, dem oberen und dem
mittleren Brunnen, noch verhältnismäßig gut mit Wasser versorgt war. Der
untere Brunnen stand an der Drehscheib. 1790 lässt sich das Vorhandensein
von zwei zusätzlichen Pumpbrunnen nachweisen; es ist hier die Rede vom
einem Pumpbrunnen im unteren Dorf und einem an der „Mittengass“.
Schließlich wurde 1790 am südlichen Ortsausgang, beim Schriesheimer Tor,
ein weiterer Brunnen gegraben.
Auch
in der Feldflur sind Brunnen überliefert. 1699 wurde dem Feldschütz
aufgegeben, zur Sommerzeit „fleißig“ Wasser aus dem Brunnen im Hombusch zu
schöpfen. Es handelte sich bei diesem Brunnen wohl um einen
Stangenbrunnen, ähnlich dem, den der Weinheimer Geometer Nikolai 1823 auf
seinem Zusatz zum Leutershausener Gemarkungsplan von 1777 abgebildet hat.
Dieser weitere Brunnen befand sich an der Einmündung des „Gemeinen
Viehtriebsweges“ in den Heddesheimer Weg; die Flurbezeichnung „Am Brunnen“
verdankte ihm ihren Namen.
Das knappe und
kostbare Gut Wasser bedurfte besonderen Schutzes. Anlässlich des
Neujahrsgerichts von 1699 beklagte der Brunnenmeister Hans Gartner die
Unrichtigkeiten an den Brunnen, als deren Verursacher er Weiber, Mägde und
Kinder verantwortlich machte. Schultheiß, Gericht und Gemeinde verkündeten
darauf eine Brunnenordnung, die es jedermann, „er sey, wer er wolle“,
verbot, in den Brunnen Wäsche, Garn und Kübel zu schwenken, „herumb[zu]flößen
und ab[zu]säubern“. All dies sollte nur „auß der Bronnenzargen“, außerhalb
des Brunnentrogs also, erlaubt sein. Bewehrt wurde diese Ordnung mit der
Strafandrohung von 15 Kreuzern „gemeiner Straff“, „und solle solches alhie
zu einem ewigen Recht verbleiben und gehalten werden.“ Altem Herkommen
gemäß wurde auch der bestraft, der mit dem Aussatz oder den „bösen
Plattern über die Brunnen gienge“.
Wenn das
Leutershausener Ortsbild heute von einer Vielzahl laufender Brunnen
mitgeprägt wird, so ist das nicht Ausdruck eines natürlichen
Wasserreichtums, sondern Ergebnis der modernen Versorgungsstruktur.
„Leutershausen
ist fast der einzige Ort an dieser Straße [Bergstraße], welcher viele
Armen hat, indem der Grundherr, Graf von Wiser, viele Arme um ein geringes
Schutzgeld aufnahm“. Mit dieser Feststellung aus der Mitte des 19.
Jahrhunderts wird auf ein weiteres Charakteristikum Leutershausens
verwiesen, das seinen Anfang im 18. Jahrhundert nahm. Die von den Grafen
betriebene Bevölkerungspolitik brachte tatsächlich Menschen ins Dorf, die
sich zunächst als Tagelöhner bei den Landwirten und Handwerkern
durchschlugen oder selbst ein Handwerk betrieben. Die seit etwa 1870 in
unserem Raum sich allmählich durchsetzende Industrie stellte dieser
Bevölkerungsschicht Arbeitsplätze zur Verfügung; aus den Tagelöhnern
wurden Arbeiter, die nach Mannheim und Weinheim auspendelten. Die seit
1846 bestehende Eisenbahnverbindung über den Bahnhof
Großsachsen-Heddesheim und die Nebenbahn seit 1890 beförderten diese
Entwicklung. Arbeitsplätze stellte auch das Gewerbe zur Verfügung. Einen
traditionellen Schwerpunkt bildeten hierbei die Betriebe rund um den Bau.
Den Durst der arbeitenden Bevölkerung löschte das Bier der wohl nicht
zufällig gerade in Leutershausen entstandenen beiden Brauereien Förster
und Schröder.
Das
„gute Schröderbier“ floss beispielsweise Ende
der 1920er Jahre anlässlich einer
Tarifeinigung nach
einem
Streik im Leutershausener
Baugewerbe.
Brauerei
Förster
Fahrpreistabelle der
Main-Neckar-Bahn von 1846
Großsachsen blieb im Gegensatz hierzu länger und deutlicher von der
Landwirtschaft beherrscht, die dem Ort, wie es heißt, lange einen
mittleren Wohlstand bescherte. Wer mit offenen Augen durch das alte
bäuerliche Großsachsen geht, kann dies an den stolzen Anwesen bis heute
ablesen. Auf der anderen Seite bedeutete dies, dass der gewerbliche Sektor
in Großsachsen schwach ausgebildet blieb. Die seit 1883
bestehende
Presshefefabrik von Müller und Feder brachte zwar einen industriellen
Touch ins Dorf, die Fabrik wurde von den Eingesessenen aber immer als
Fremdkörper empfunden. Ihre Fabriksirene scheuchte nicht nur die Tauben
auf den Dächern in regelmäßigen Abständen auf. Immerhin prägten die
Fabrikantenvilla Feder und das „Beamtenwohnhaus“, das spätere Rathaus, die
Großsachsener Landstraße wesentlich mit. Arbeiterwohnhäuser und das etwas
versteckte Türmchen des Wasserwerks erinnern weiter an dieses 1928
eingestellte Unternehmen. Als „Alte Tabakfabrik“ macht die alte
Produktionsstätte im Augenblick von sich reden.
Die hier
gezeigten Gegensätze zwischen beiden Orten machte sich auch politisch
bemerkbar: Großsachsen blieb bis in die Jahre vor dem Dritten Reich eine
Domäne der bürgerlich -konservativen Parteien, die ihre Stimmen bei der
protestantischen bäuerlichen Bevölkerung fanden.
In
Leutershausen mit seiner starken Arbeiterbevölkerung dagegen entwickelte
sich die Sozialdemokratie bis 1919 zur stärksten politischen Kraft und
nahm anschließend bis 1930 die zweite Position ein.
Ein
weiterer Gegensatz tat sich in konfessioneller Hinsicht auf. Auch dazu der
Hinweis auf sichtbare Zeichen: den Leutershausener Friedhof ziert ein
Kreuz mit dem Errichtungsdatum 1880. Als Stiftung einer ungenannten Person
(Graf Wiser?) ersetzte es mit Zustimmung des Gemeinderates ein bereits
zuvor existierendes hölzernes Kreuz.
Leutershausener
Friedhofskreuz
Was
ist daran so bemerkenswert?
Soviel: Anlässlich der Erweiterung des Großsachsener Friedhofs 1877 hatte
der zuständige katholische Pfarrer Lammert von Hohensachsen ein hölzernes
Kreuz aufstellen lassen, das nach der kirchlichen Weihezeremonie wieder
entfernt werden sollte. Als dies nicht umgehend geschah, richtete der
Großsachsener Gemeinderat ein entschiedenes Schreiben an den Pfarrer und
verlangte die alsbaldige Entfernung. Er stellte damit klar, dass er ein
Zeichen der katholischen Frömmigkeit in Großsachsen nicht duldete – es war
die Zeit des so genannten „Kulturkampfes“.
Anders als in
Großsachsen, wo die Katholiken auch nach dem Regierungsantritt der
katholischen Kurlinie Pfalz-Neuburg im Jahre 1685 immer eine kleine
Minderheit blieben, gewannen die Katholiken in Leutershausen zunehmend an
Boden, bis sie fast die Hälfte der Bevölkerung stellten. Grundlage hierfür
war das Wirken der Grafen Wiser. Sie Seit Antritt ihrer Herrschaft über
Leutershausen im Jahre 1700 förderten sie den Zuzug von Katholiken mittels
ihrer Befugnis, darüber zu entscheiden, wer im Ort von außen neu
aufgenommen wurde, sei es als Bürger oder minderberechtigter Beisasse.
Zunächst musste der Chor der alten Kirche dem katholischen Gottesdienst zu
Verfügung gestellt werden. 1737 wurde die lauretanische Kapelle im Vorhof
des
Schlosses errichtet; sie nahm das Gnadenbild der Schwarzen Madonna auf.
Damit wurde zugleich die heute noch bestehende Wallfahrt eingerichtet. 1752 erhielten
die Katholiken eine eigene Kirche in Anschluss an die Wallfahrtkapelle. 1905 bis 1907 entstand dann auf
dem Boden des alten „Wasserhofes“ die neue katholische Kirche. Sie nahm auch das Gnadenbild auf.
Ehemalige katholische Kirche Leutershausen um 1900 (links)
Das Verhältnis
zwischen den ungefähr gleich starken christlichen Konfessionen war von
Spannungen nicht frei. Eine wichtige Rolle spielte für die Katholiken die
Zentrumspartei, die bereits 1920 die Sozialdemokraten in
Leutershausen
auf den zweiten Platz in der Wählergunst verwies. In Großsachsen spielte
das Zentrum der Konfessionsstruktur gemäß nur eine untergeordnete Rolle.
Leutershausen dagegen wurde in den 1920er Jahren, wenn wir das so
sagen dürfen, von einer schwarz-roten großen Koalition beherrscht.
Leutershausen: Katholische Kirche und Schloss um
1960
Ein
letzter hier zu nennender Unterschied in der Struktur der beide Orte
entstand wiederum mit dem 18. Jahrhundert: aufgrund der
Bevölkerungspolitik der Ortsherrschaft konnte sich in Leutershausen eine
vergleichsweise
große jüdische Gemeinde bilden. Sie erreichte 1864 mit 165 Seelen ihren
Höchststand. 1933, zu Beginn der NS-Herrschaft, wurden noch 43 jüdische
Menschen in Leutershausen gezählt. An die Blütezeit der durch den NS-Terror zerstörten Gemeinde erinnert
der stimmungsvolle Raum, in dem wir uns heute Abend zusammengefunden
haben. Nur wenige Schritte von hier steht das Gebäude, das zuvor seit dem
18. Jahrhundert die „Judenschul“ beherbergt hatte. Unter dem Namen
„Horst-Wessel-Haus“ diente es den Gliederungen der örtlichen
NSDAP-Ortsgruppe als Quartier.
In
Großsachsen blieb die Zahl der Juden stets weit geringer. Immerhin
erinnert noch im Haus am Mühlgraben 14 die Mikwe, das rituelle
Reinigungsbad daran, dass es auch in Großsachsen jüdisches Leben gegeben
hat, bis es dem NS-Regime zum Opfer fiel.
Der
von Deutschland begonnene Krieg endete in der bekannten Katastrophe. Eines
seiner Ergebnisse war die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und
Südosten Europas. Großsachsen (1950: 374) und Leutershausen (1950: 652)
nahmen eine Vielzahl von Vertrieben auf. Hierdurch und durch die
bemerkenswerte Dynamik im Ballungsraum des Rhein-Neckargebiets,
veränderten sich althergebrachte Verhältnisse. Die Bevölkerung wuchs
beträchtlich. (1939: zusammen 3450; 2005: 9.400). Äußeres Kennzeichen
hierfür sind die Neubaugebiete in beiden Ortsteilen und die Errichtung der
katholischen Christ-Königs-Kirche in Großsachsen
1964/65.
Der hier angedeutete Umbruch bewirkte auch ein
Zusammenwachsen der
beiden
Orte durch gemeinsam genutzte Einrichtungen der Daseinsvorsorge:
Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Müllbeseitigung,
„Nachbarschaftsschule“ (Hauptschule).
Katholische
Kirche Großsachsen
Dies
waren auch die Argumente der Befürworter des Zusammenschlusses von
Großsachsen und Leutershausen zu einer „Einheitsgemeinde“. Die seit 1972
geführten Diskussionen im Vorfeld dieser Vereinigung kann ich hier nicht
nachzeichnen: das wäre abendfüllend. Alte, überlebt geglaubte Animositäten
wurden plötzlich wieder quicklebendig. Von einem „Glaubenskrieg“ spricht
einer, der die Diskussion an vorderster Stelle miterlebt und mitgeführt
hat. Mit der Vereinbarung vom 1.1.1974 schien die Vereinigung schon in
trockenen Tüchern zu sein.
Doch
dann drohte alles wieder an der Namensgebung zu scheitern.
Leutershausen-Gro oder Großsachsen-Leu schieden aus. Die von
den Bürgern eingeholten Vorschläge gingen von Bergstraßenau über
Großleutersberg, Hundshirschbergen (provokativ gemeint),
Sachsmühlen bis Weinhausen, um nur wenige zu nennen. Einer der
um seine Meinung befragten Bürger schrieb: „Ich halte einen neuen
Namen für ausgesprochen überflüssig; er würde nur noch mehr Kosten
verursachen, als ohnehin schon entstehen“. Schließlich konnte man sich auf
den Vorschlag „Hirschberg“ einigen, der insbesondere die Unterstützung des als
Sachverständigen herangezogenen Heidelberger Historikers Meinrad Schaab
fand. Rektor Wild steuerte einen Wappenentwurf bei, der die Grundlage für
das 1977 der Gemeinde Hirschberg verliehene Wappen bildete.
Entwurf eines Hirschberger Gemeindewappens von Theo Wild
So
konnte zum 1. 1. 1975 die neue Gemeinde Hirschberg an der Bergstraße ins
Leben treten. Die Wiedervereinigung der aus gemeinsamer Wurzel
entstandenen Orte Großsachsen und Leutershausen war nach Jahrhunderten
getrennten Lebens vollzogen. Damit war die Grundlage dafür gelegt, dass
sich die nunmehrigen Ortsteile Schritt für Schritt auf einander zubewegen
konnten. Den Erfolg dieses Prozesses können die hier Anwesenden besser
beurteilen als ich. Wenn es aber sogar möglich war, dass sich, wie gerade
geschehen, die beiden Freiwilligen Feuerwehren auf einen künftigen
Standort für ein gemeinsames Feuerwehrhaus einigen konnten, dann kann es
um die „innere Einheit“ Hirschbergs im Jahre 31 seiner Entstehung so
schlecht nicht stehen.
Rainer Gutjahr |